Ästhetik der Dystopie

Chris Bierl · Friederike Hammann

18. November 2023 bis 14. Januar 2024
Vernissage: Freitag, 17. November 2023, 19.00 Uhr
Ausstellungsende: Sonntag, 14. Januar 2024, 19.00 Uhr

 

 

 

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Naturkatastrophen und menschengemachte Umweltschäden werden immer stärker spürbar. Die Folgen menschlicher Eingriffe im Anthropozän zeigen jetzt Folgen. Die Auswirkungen und der Schrecken werden medial in überwältigender Intensität vermittelt. Die Verzweiflung, scheinbar ausweglos verstrickt zu sein in die sich beschleunigende Dynamik der Dystopie, erfasst so auch die scheinbar nicht selbst Betroffenen. Dabei sind die medialen Bilder ebenso Dokumentation wie auch zugleich Teil einer nach Aufmerksamkeit heischenden Strategie der Medienkonzerne.
In das ernsthafte Entsetzen und Mitleid mischt sich aber auch kaum zu vermeidende Schaulust und die Faszination eines geradezu „erhabenen“ Schreckens. Ikonische Bilder von Zerstörung (brennende Wälder, überschwemmte Gebiete, Tropenstürme, erschöpfte Opfer), mithin von Katastrophen immer größeren Ausmaßes brennen sich ein. Sind die Bemühungen, durch politisches (Ver)Handeln, den prognostizierten Klimawandel aufzuhalten von zahlreichen Widerständen geprägt, scheint den meisten Menschen die Rolle als Zeitzeuge und Zuschauer vorbehalten.
Im Kunstverein Neukölln stellen nun zwei Künstler:innen aus, die sich ihrer Aufgabe als ästhetische Vermittler:innen gesellschaftlicher Prozesse und Zusammenhänge bewusst sind. Sie dokumentieren und kommentieren zugleich, was der Öffentlichkeit bekannt – oder auch noch wenig präsent – ist. Mit den Mitteln der Ästhetik wird eine Botschaft kommuniziert. Dabei stellt sich die Frage, wie eigentlich unfassbare Schrecken mit Mitteln der Kunst gefasst und transportiert werden können.

Chris Bierl hat mehrere Reisen in die Uralregion Russlands unternommen, die seit Jahrzehnten wirtschaftliche Sperrzonen beinhaltet. Auch die Menschen, die hier leben, wissen von den ungeheuren Umweltschäden, die durch Rohstoffabbau und industrielle Produktion entstanden sind und noch Jahrzehnte nach Produktionsende die Landschaft und deren Nutzung bestimmen, sind aber wie gelähmt zu reagieren. Sind Flüsse und Abraumhalden stark kontaminiert, erobert sich gleichwohl die Natur jene Areale zurück, die jedoch auf Jahre von den menschlichen Eingriffen „erzählen“: Eine auf den ersten Blick ästhetische Landschaft vermittelt den Eindruck einer erhabenen Gestalt. Die geheimen Schrecken sind in den eindrucksvollen Fotografien Chris Bierls eher als Subtext begreifbar und werden durch den Ausstellungs-zusammenhang kontextualisiert.


Friederike Hammann arbeitet seit vielen Jahren mit medialen Bildern, die starke Emotionen vermitteln und zuweilen ikonische Bedeutung erhalten. In ihren starkfarbigen, gerasterten Gemälden entwickelt sie eine beinahe abstrakte Bildsprache des „technischen“ Bildes. Doch sowohl in der geradezu flackernden Farbigkeit als auch in der eben nicht nur dokumentarischen Qualität spielen Emotionen eine wichtige Rolle. Nach einer sich über viele Jahre ersteckenden Serie verzweifelter Börsenmakler in pseudoreligiösen Posen hat sich Hammann jetzt einem anderen Mythos des kapitalistisch geprägten Westens gewidmet: Dem Auto als Status-, Freiheits- und Mobilitätssymbol. In Berichten zu den verheerenden Waldbränden in Kalifornien kamen zuletzt vermehrt Bilder von ausgebrannten Luxuswagen und Oldtimern vor. Vielleicht sogar besser als in den erschöpften Gesichtern von Feuerwehrleuten oder Brandopfern lässt sich medial der Schrecken der Verheerung im Statussymbol der Limousinen berühmter Marken abbilden. Weitere Werke thematisieren ebenfalls den Kontext Auto und damit unser „fossiles Zeitalter“.